Grafik zeigt einen Ring, der ein Gebäude symbolisiert
Kultursoziologie Uni Leipzig

Headquarter des digitalen Kapitalismus

Internet und digitale Infrastrukturen lassen sich zwar schlecht sehen und verorten. Umso sichtbarer jedoch sollen die neuen Firmenzentralen der großen digitalen Unternehmen wie Apple, Facebook oder Google sein. Mit großem Aufwand haben sie in den letzten Jahren neue Headquarter errichtet und sich dabei oft ganz eigene Welten gebaut. Dabei verraten die Gebäude viel über die dahinterstehenden Unternehmen und ihre Ideen.

Zwischen San Francisco und San José liegen nur 70 Kilometer. Aber es sind sehr berühmte 70 Kilometer, bekannt als „Silicon Valley“. Im Grunde besteht die Gegend aus einer ununterbrochenen Reihe von kleineren Vororten entlang der Route 101.

Der Name „Silicon Valley“ stammt aus der Zeit, als hier tatsächlich noch Computer-Hardware produziert wurde und dabei viel Silizium verwendet wurde. Kein unwichtiger Nebeneffekt dieser Zeit: die alarmierend schlechten Bodenwerte, weil vor allem in den 1970er und 1980er Jahren dabei massenhaft Giftstoffe in den Boden gelangten. Das Silicon Valley ist heute eine der toxischsten Regionen überhaupt.

 

Hier sind aber auch die Firmen entstanden, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt haben wie wohl keine andere Branche: Apple, Facebook, Google, Adobe, HewlettPackard und so weiter. Lange Zeit haben diese Unternehmen vor allem in ihrer Produkte investiert, die meistens – in mehrfachem Sinne – kaum zu fassen waren. Abgesehen von HP-Druckern und Apple-Rechnern wird hier ja viel Software produziert; Programme, die uns wichtig sind, zugleich aber auch flüchtig und abseits von Rechner und Smartphone kaum präsent.

Umso interessanter, dass viele der genannten Unternehmen in den letzten Jahren eine ganz neue Sichtbarkeit erlangt haben: Sie haben sich teilweise spektakuläre Firmenzentralen bauen lassen. Diese stehen aber nun nicht im Zentrum von San Francisco, sondern dort, wo auch bisher die Unternehmen angesiedelt waren, also zwischen San Francisco und San José; nicht zuletzt in der Nähe der Stanford University, der Universität, wo viele der Gründer:innen studiert haben und die nach wie vor ein symbolisches Zentrum des Silicon Valley darstellt.

Architektur ist also auch ein wichtiges Medium des Digitalen. Die Headquarter dienen der Selbstdarstellung der Unternehmens nach innen wie nach außen. Sie kommunizieren eine Geschichte des Unternehmens, eine Identität, eine Haltung zur Welt. Über ihre bauliche Gestalt gewinnt das Unternehmen selbst eine Gestalt, sowohl für Kundschaft wie für Angestellte; das Gebaute wirkt hier ebenso wie Werbung und die eigentlichen Produkte.

Googleplex

Als erstes der großen Unternehmen beschloss Google, ein repräsentatives Quartier zu errichten. Von einer Vorgängerfirma wurde ein großes Gelände inclusive Gebäuden übernommen, ausgebaut und „Googleplex“ getauft. Entstanden ist ein Headquarter-Gelände, das vergleichsweise offen ist: Der Campus ist komplett begehbar, und Besucher:innen sind nicht nur geduldet, sondern werden regelrecht betreut. Es gibt zahlreiche Guides auf dem Gelände, dazu die mittlerweile ikonischen Spots, an denen Fotos vor dem Firmenlogo, dem Tyrannosaurus oder den Android-Figuren gemacht werden können oder gar sollen. Die Touristen sind schwer von den Mitarbeiter:innen zu unterscheiden, denn auch die Google-Bikes werden von beiden genutzt. Alles in allem ergibt das eine vergleichsweise lebendige Atmosphäre.

Umbauten und Neugestaltungen des ursprünglichen Gebäudes erfolgten in den Innenbereichen (hier keine Fotos erlaubt, sorry) und auf dem Campusgelände. Dabei ist Googleplex bunter, heterogener und in gewisser Weise eklektischer als andere Headquarter. Der Eindruck verstärkt sich noch, wenn mittags eine ganze Flotte von Foodtrucks einfliegt (und ein Truck mit Friseursalon).

Es wird spannend zu sehen sein, ob und wie sich dies mit den schon in Bau befindlichen Neubauten entwickelt. Konzeptioniert sind aber auch diese als der Öffentlichkeit zugängliche Räume. Und offenbar zieht damit Google einen weiteren Trumpf im Wettbewerb um den architektonisch spektakulärsten Firmensitz: Eine zeltartige Dachkonstruktion wird den gesamten Bau überspannen, der von der Bjarke Ingels Group und Heatherwick Studio entworfen wurde.

Facebook

Das zweite der großen Headquarter im Silicon Valley gehört Facebook. Auch hier haben wir es mit einer Assemblage von vormals schon bestehenden und nun neu gebauten Architekturen zu tun. Von 2004 bis 2011 saß Facebook noch in Palo Alto, bezog dann aber einen Komplex von bereits bestehenden Bürobauten, der zuvor von Sun Microsystems genutzt wurde. Symbolisch wurde von dem neuen Areal insofern Besitz genommen, als die den Komplex umgebende Hauptstraße und damit die Adresse in „Hacker Way“ umbenannt wurde.

Neu hinzugekommen ist nun ein Gebäudekomplex, der vor allem aus den Gebäuden MPK-20 (eröffnet 2015) und MPK-21 (eröffnet 2018) besteht. Beide bilden zusammen einen mehrere hundert Meter langen Korpus, der jetzt das eigentliche Headquarter von Facebook ist.

Auch dieser Bau versucht auf mehrfache Weise, sich als besonders auszuweisen. Entworfen wurde er mit Frank Gehry von einem weiteren Star-Architekten. Und auch dieser Bau entspricht allen neuesten Umweltstandards und kann damit auf eine „LEED Platinum Certification“ verweisen, die vom US Green Building Council vergeben wird.

Verglichen etwa mit den Googlebauten geht es einen eigenen Weg. Im Grunde sind beide Facebook-Campuskomplexe radikal nach innen ausgerichtet, Tourist:innen sind kaum eine Zielgruppe. Es gibt nicht mal einen öffentlichen Shop für Merchandising, und von außen verbreiten die Bauten eher Parkhausatmosphäre. Nach innen jedoch passiert eine Menge. Zum einen ist die Innenarchitektur lebendig, variabel und arbeitet mit Farben und Kunst. Zum anderen bilden beide Komplexe jeweils weitläufige Innenhöfe, die gerade beim Bau von Frank Gehry regelrechte Parks sind. Dazu die auch woanders übliche Infrastruktur aus Cafés, Micro-Kitchen und Cafeterias, es gibt auch eine Holzwerkstatt.

Das Online-Produkt Facebook soll durch den Bau nicht einfach dargestellt oder nähergebracht werden. Vielmehr sagt der Bau: Werde Mitglied, dann siehst Du mehr! So wie man das Gebäude nur von außen sieht, ohne Mitarbeiter zu sein, so wie man in den Merch-Shop nur darf, wenn man im Gebäude ist, so wird man die Qualitäten von Facebook nur ‚von innen‘ erkennen.

Apple Park

Das neue Apple-Headquarter wurde von Sir Norman Foster, einem weiteren zeitgenössischen Architektur-Star entworfen. Das Gebäude hat einen Umfang von 1,5 Kilometer; es hat ebenfalls die LEED-Platinum Certification und ist zudem mit einer Technologie ausgestattet, die es besonders erdbebensicher macht. Die Baukosten beliefen sich Gerüchten zufolge auf 5 Milliarden Dollar. Um das Gebäude herum befinden sich noch einige weitere kleine Bauten, unter anderem das Steve Jobs-Theatre, in dem Apple seine Produktpräsentationen vornimmt.

 

Dafür, dass am Ende kaum jemand das Gebäude zu sehen bekommt (gut, abgesehen von den 12.000 Menschen, die darin arbeiten), gab es ein ziemliches Spektakel um das neue Headquarter. Es wurde 2017 eingeweiht und befindet sich in Cupertino, nur drei Kilometer vom ursprünglichen Hauptsitz des Unternehmens entfernt.

Nicht nur in der Hinsicht ist Apple Park außergewöhnlich. Das Headquarter ist ein monumentaler kreisförmiger Bau, vier Stockwerke hoch und rundum verglast und horizontal über Lamellen strukturiert.

Selbst die im Netz kursierenden Fotos und Videos bereiten einen nicht auf seine tatsächlichen Ausmaße vor. Die Analogie zum Raumschiff ist schon ganz passend; fast bedrohlich und lauernd ruht es jedenfalls für den Moment an seinem Landeplatz. Und versteckt sich dort. Um das gesamte kreisförmige Headquarter zieht sich nicht nur ein Zaun, sondern auch ein aufgeschütteter Wall und eine durchaus dichte und hohe Bepflanzung. Schon bemerkenswert: Einerseits die vielfältigen Geschichten um die Besonderheiten des Gebäudes und sein offenkundiger Wille zur Ausnahmeerscheinung, andererseits die krasse Abschottung und der Rückzug, die den Bau dann umso mehr besondern. Hier deshalb keine fancy Bilder, sondern das Stückwerk, wie es einem vor Ort begegnet.

So unnahbar sich Apple Park auch gibt, so einladend wiederum präsentiert sich das direkt daneben platzierte Visitor Center. Umgeben von Olivenbäumen könnte es auch ein kleines Museum für zeitgenössische Kunst in der Toskana sein oder die Vergrößerung einer Apple-Produktverpackung. Das Center erfüllt drei Zwecke. Erstens enthält es einen Store, in dem das neueste iphone-Modell angeboten wird, dazu noch T-Shirts (der Kreis von Apple Park als Motiv) und andere Gimmicks, die sich sonst nicht in allen Apple Stores finden. Zweitens kann man von der Dachterasse einen (wie beschrieben) auch von dort weitgehend versperrten Blick auf Apple Park werfen. Und drittens hat man im Center ein Modell des Headquarters installiert, dessen eigentlicher Effekt nicht sofort erkennbar ist. Richtet man dann aber eines der ausgegebenen ipads auf das Modell, wird eine Simulation von Apple Park gestartet, durch die man sich dann bewegen kann und zudem als besonderen Clou auch die Dächer lüften und in den Innenraum schauen kann. Das Modell ist damit eine Art imaginiertes Schlüsselloch; ein Mittel, um den versperrten Zugang zum eigentlichen Zentrum irgendwie zu ermöglichen und dabei die Distanz doch zu vervielfachen. In jedem Fall eine bemerkenswerte Art, Architektur zu präsentieren.

Unser Fazit: Auch der digitale Kapitalismus will offenbar nicht auf analoge, regelrecht traditionale Zentren seiner Unternehmen verzichten; auch das so schnelle und fluide Digitale will und muss sich dauerhaft verorten. Zugleich gibt es nicht die eine gebaute Form „des Digitalen“. Zwar agieren alle drei Akteure im Medium Architektur und ästhetisieren ihre Unternehmen, doch zugleich auf relativ unterschiedliche Weise. Google baut zugänglich, Facebook schafft eine gebaute Community, Apple errichtet eine eigene Welt mit Nationalpark und versteckt sie hinter einem Wall.